St. Nikola – Erinnerungen nach 40 Jahren

1967 kam ich in die 1. Klasse der Volksschule St. Nikola.  Es ist erstaunlich, an welch kuriose Gegebenheiten  man sich nach 40 Jahren noch erinnert.

So fiel mir als erstes ein, dass ich es  sehr praktisch fand, dass das Säuglingsheim genau neben der Schule war. Da  konnten  ich und meine Schwester meiner Mutter täglich mit vom Großvater sauber geschrubbten Händen vor der Schule winken, als  ihr drittes Mädel auf die Welt kam.

Auch kann ich mich daran erinnern, dass wir für die Pause Kaba oder Milch bestellen konnten. Die bestellten Getränke mitsamt Strohhalmen wurden in einem Karton ins Klassenzimmer gestellt. Wenn der Pausengong erklang, holten wir uns schnell den Kaba und rannten voll Freude in den Pausenhof. Dort  waren alle immer sehr lebhaft , es herrschte eine richtig ausgelassene Stimmung. Es wurde Fangen gespielt, Gummi gehüpft, Kasterl gesprungen, geratscht und hin und wieder gab es unter den Jungen auch mal Raufereien. Doch am meisten eingeprägt hat sich die Erinnerung in Bezug auf den Pausenhof, dass ich mir einmal den Strohhalm ins Auge gestoßen habe. Natürlich wollte ich nicht zugeben, dass mir so etwas Blödes passiert ist. Aber es hat so weh getan, dass ich den Schmerz – wenn ich nur daran denke – heute noch spüre. Das Auge hat  den ganzen restlichen Schultag getränt und ich hatte Angst, dass es mir vielleicht auslaufen könnte.

Die nächste Erinnerung ist die Sache mit dem Schulweg. Dieser war ja eigentlich nicht weit, unsere Wohnung lag im Bratfischwinkel, in der Nähe des „Wienerwaldes“. Doch muss man

bedenken, dass dieser Schulweg heute ja größtenteils durch die  Fußgängerzone führen würde; damals jedoch war die Lage noch etwas anders. Es gab noch keine Schanzlbrücke und die Brunngasse z.B. war eine sehr befahrene Straße. Der Verkehr ging noch durch die jetzige Fußgängerzone zur Maxbrücke. Unvorstellbar erscheint mir dies heute.  Genauso unvorstellbar war es damals für mich, warum denn die Lagergebäude gesprengt  werden mussten, um der Schanzlbrückenauffahrt Platz zu machen.

Also der Schulweg führte über die Brunngasse mit dem tollen Schaufenster des Spiel-warengeschäfts (so an die 50 Matchbox-Autos) in Richtung Ampel bei der Votivkirche. Die Heilig-Geist-Gasse entlang – war mal ein bisschen Geld übrig, konnte man sich in der Molkerei ein sogenanntes Bierstangerl kaufen – und ab in die Schule. Es gab an der Ni-kolastraße Schülerlotsen, die ich trau-rigerweise nie passieren konnte, weil ich ja da nicht lang musste.  Wir bekamen die orangen Kopftücher verpasst, die heute kein Kind mehr aufsetzen würde. Aber wir waren stolz darauf. Trotz dieser tollen Kopfbedeckung musste ein Auto einmal wegen mir beim Überqueren der Grabengasse eine Vollbremsung hinlegen. Ich bin einfach über die Straße gelaufen, mit dem Kopftuchkopf  bereits zuhause beim Mittagessen. Der Fahrer schimpfte mich, obwohl ich vor furchtbarer Angst am ganzen Körper zitterte. Noch mehr Angst hatte ich aber, diesen Vorfall meiner Mutter zu erzählen. Dies habe ich erst vor kurzem (nach ca. 38 Jahren!)  erwähnt, weil ich mir sicher war, dass sie sich nunmehr keine Sorgen darüber macht.

Der Turnunterricht fand damals in der Turn-halle am Innkai statt. Meine Familie war grundsätzlich nicht recht sportlich. Unsere sportlichen Aktivitäten bestanden  vor allem aus stundenlangem Wandern.  Ich war aufgrund meiner zierlichen Figur nicht gerade eine tolle Völkerballspielerin. Ich hatte regelrecht Angst vor dem schweren Geschütz. So habe ich es geradezu heraufbeschworen, dass ich ein leichtes Opfer war und immer torpediert wurde. Leider hatte ich einmal meinen Kopf nicht schnell genug aus der Schusslinie gebracht und erlitt eine Gehirnerschütterung, die mich für  ein paar Tage ans Bett fesselte.

Ein weiterer Vorfall ist mir noch recht gut im Gedächtnis. Ich glaube,  es war in der 4. Klasse. Wir hatten Herrn Direktor Zack als Klassenlehrer.  Als einmal der Unterricht mittags zu Ende war, haben ein paar Jungen sich in der Klasse verschanzt, d.h. sie hielten mit vereinten Kräften die Tür von innen zu, obwohl ein paar Schüler sich noch Sachen vom Klassenzimmer holen wollten. Also versuchten die Schüler von draußen an der Türe zu ziehen.  Die Kräfte waren enorm, viel größer als ich mir je vorstellen konnte. Es war ein komisches Geräusch, als die Tür mit einem Ruck in der Mitte auseinanderriss.  Es roch nach Ärger, nach großem Ärger!  Ich kann mich nur an den Teil der Bestrafung erinnern, dass die Jungen sich allesamt nach vorne sitzen mussten, damit wir Mädchen bis zur Erneuerung der Tür keine Zugluft abbekamen. War Herr Direktor Zack nicht ein lieber Lehrer!?

Damals gab es auch noch Schuluntersuchungen. Ich weiß noch genau, dass nach solch einer Untersuchung ein Schüler und ich vor der ganzen Klasse aufgefordert wurden, uns noch einmal beim Arzt zu melden, weil wir zu dünn wären. Das war mir sowas von peinlich und ich habe heute noch ebenso Mitleid mit diesem Jungen wie mit mir. Uns zwei wurden dann Lebertrankapseln verabreicht.

Insgesamt habe ich die Schulzeit in der Nikolaschule als sehr positiv in Erinnerung, auch wenn meine Erinnerungen doch mehr von etwas außergewöhnlichen Ereignissen berichten.

Meine 4 Jahre in dieser Volksschule haben mich geprägt. Sei es die Lehrerin, die darauf achtete, dass wir eine gerade Haltung einnahmen – teils mussten wir eine ganze Stunde mit dem Zeigestab im Rücken sitzen – oder die Handarbeitslehrerin, die dafür sorgte, dass wir lernten nur zu bestimmten Zeiten auf die Toilette zu gehen – es ging dann halt auch einmal in die Hose. Frau Lehrerin Loidolt und Herr Direktor Zack haben uns auf unsere weitere Schullaufbahn mit der nötigen Strenge und mit viel Liebe vorbereitet. Wir waren trotz 42 Kindern in der 4. Klasse eine tolle Gemeinschaft.  Vor ca. 3 Jahren habe ich in einem Verein einen ehemaligen Schulkameraden erstmals wieder getroffen und fühlte mich auf Anhieb gleich wieder  vertraut –  gemeinsam teilend die 4 Jahre Schulzeit in der Nikolaschule. Oder war es vielleicht doch die Tatsache, dass ich damals auf seiner Geburtstagsfeier das einzige Mädchen war?

Die Zeiten haben sich geändert:

Es gibt keine Maxbrücke mehr, die Schanzlbrücke wurde ziemlich am Ende unserer Schulzeit  eingeweiht. Die Molkerei ist verschwunden, das Säuglingsheim wurde zur Europabücherei.

Was geblieben ist, sind Lehrer, die sich für die Kinder einsetzen, damit sie in der heutigen Zeit bestehen können. Für Kinder, die andere Probleme als  Völkerball oder Lebertran-kapseln, Zugluft oder Strohhalme haben.

Geblieben ist auch das Schulgebäude. Der Anbau ist so gut gelungen, dass er als solcher für einen Fremden gar nicht zu erkennen ist.  Und geblieben sind darin – Gott sei Dank – meine Pausen-Bäume, neben denen das Malheur mit dem Strohhalm passierte.